Jeff Jaffe wurde vor fast einem Jahr CEO des World Wide Web Consortium (W3C). Sein Amt erfordert sowohl Geduld als auch Ungeduld: Geduld, weil das W3C eine nur schwer beherrschbare Standardisierungsgruppe ist, in der es gilt, die Pläne und Wünsche von mehreren Dutzend Herstellern unter einen Hut zu bringen. Ungeduld ist dagegen wichtig, damit das W3C auch weiterhin schnell und flexibel genug bleibt – denn wenn es sich nicht bewegt, wird es vom Web überholt werden.
Zudem erweitert sich das Tätigkeitfeld des W3C in dem Maße, in dem das Web vielfältiger und reicher an Möglichkeiten wird. Es reicht inzwischen von Standards für Augmented Reality bis zur emotional geführten und firmenpolitisch aufgeladenen Debatte um die Erneuerung von HTML, der Spezifikation der Hypertext Markup Language, die nach wie vor das Fundament jeder Website ist. Jaffes an sich schon monumentale Aufgabe wird dadurch interessanter aber nicht einfacher, dass in jüngster Zeit von vielen Seiten das Interesse daran gewachsen ist, aus dem Web eine Plattform für Anwendungen zu machen.
Jeff Jaffe, CEO des World Wide Web Consortium (Bild: Stephen Shankland/CNET).
Außerdem kämpft das W3C darum, die Führung bei den Anstrengungen um HTML5 wieder zu erlangen. Diese waren jahrelang in eine 2004 gebildete, informelle, sehr flexible und fokussierte sogenannte Web Hypterext Applications Technology Working Group (WHATWG) ausgelagert. 2007 musste das W3C-Management jedoch erkennen, dass die Arbeit der Browser-Entwickler an HTML im Rahmen der WHATWG in der Praxis die vom W3C bevorzugte Alternative XHTML 2.0 abgehängt hatte.
Den Führunsanspruch des W3C durchzusetzen, erwies sich zunächst als schwierig. Ein großer Schritt nach vorne war dabei erneute Beteiligung von Microsoft an der Web-Standard-Entwicklung im Rahmen des W3C. Die Rückkehr war allerdings nicht ganz freiwillig: Redmonds wiedererwachtes Interesse an Web-Standards ist hauptsächlich auf das Aufleben des ernsthaften Wettbewerbs im Browsermarkt durch den Start von Googles Chrome zurückzuführen.
ZDNet: Was hat sich das W3C mit Ihnen als CEO vorgenommen?
Jaffe: Wir arbeiten immer noch am offenen Web. Genauso wie das erste Web die gesamte Computerbranche veränderte, wird das der Standard für ein multimediales, interoperables Web wieder tun. Da Firmen aus Medien, Unterhaltung, Consumer-Elektronik, Telekommunikation und Verlagswesen beteiligt sind, wird der Grad des Wandels enorm sein. Bereits im Vorfeld sind die Erwartungen hoch.
Im Februar hat das W3C eine Interessensgruppe für Web und TV ins Leben gerufen. In Berlin hat dazu ein Workshop mit Inhalteanbietern, Sendern und Infrastrukturanbietern stattgefunden. Ganz offensichtlich kommt die Unterhaltung ins Web. Vor einigen Jahren hat Netflix Revolutionäres bei den Verteilungswegen geschafft. Was uns dadurch erwartet, dass Verteilung und Erstellung der Inhalte ins Web wandern, ist heute noch nicht abzusehen.
ZDNet: Wird das Backend des Webs dadurch fragemntiert, das immer mehr Geräte darauf zugreifen? Müssen Entwickler unterschiedliche Seiten für PCs, Mobiltelefone, Fernsehgeräte und Autos bauen?
Jaffe: Unser Ziel ist ein einheitliches Web, kein fragmentiertes. Die Arbeitsgruppe DAP (Device APIs and Policy) ist ein Beleg dafür. Dort sucht man nach der richtigen Sprache, so dass ein einheitliches Web sich um das Zusammenspiel vieler Komponenten kümmert. Ein weiterer Beleg sind Scalable Vector Graphics (SVG). Sie passen sich dem Endgerät über die gesamte Palette an – von klein bis groß. Auch SVG ist als Plattform gedacht. Dafür muss im Lauf der Zeit immer wieder Arbeit reingesteckt werden. Um das zu gewährleisten, muss man die richtigen Ziele ausgeben.
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ZDNet: Wann wurde denn mit der Arbeit an der einheitlichen Plattform begonnen?
Jaffe: Ich denke das Ziel wurde vor etwa fünf Jahren bereits formuliert. Den Anfang machte die Mobile Web Initiative. Mit großem Erfolg: Beschwerden wie „ich komme von diesem Gerät nicht auf jene Website“ sind viel seltener geworden.
ZDNet: Was hat sich beim W3C im vergangenen Jahr getan?
Jaffe: Wir haben jetzt einen aktiveren Dialog mit der Industrie. Traditionell war das W3C eine Organisation, die sich mit Technologiegrundlagen beschäftigt hat. Inzwischen sprechen wir häufiger mit Unternehmen. Ich gehe davon aus, dass sich dadurch die Adaption von Web-Standards beschleunigt. Und wir haben einen erheblichen Zuwachs an Mitgliedern zu verzeichnen. Dazu tragen auch große Firmen aus Branchen bei, die vorher nicht vertreten waren, etwa Spieleentwickler, TV-Sender und aus der Unterhaltungselektronik. Auch einige Telekommunikationsfirmen sind beigetreten.
Bei der Technologieintegration ist deutlich geworden, dass wir nicht Einzelstücke liefern, sondern eine Web-Plattform schaffen, ein verteiltes Betriebssystem, das auf allen Plattformen läuft und von allen Anbietern akzeptiert wird.
Und bei all dem steht die Zielerreichung viel mehr im Vordergrund als früher. Das zeigt sich zum Beispiel an HTML5 – wo ziemlich genau gesagt wurde, wann man damit fertig sein will – nämlich 2014.
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